Brian Johnson (AC/DC) & Bono (U2)
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Brian Johnson (AC/DC) & Bono (U2)
23.10.2025

Zwei Wege zum Rock-Olymp

U2 setzen auf Wandel, Innovation und Zeitgeist – AC/DC auf kompromisslose Konstanz. Was sagt mehr über Rockmusik aus: die Kunst der Verwandlung oder die Macht des Immergleichen?

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ROCK

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Welche Rockband hat das bessere Erfolgsrezept: U2 oder AC/DC?

Was macht eine große Rockband aus? Es gibt keine Anleitung für den Weg an die Spitze. Aber zwei Wege, die sich fast maximal widersprechen, führen dorthin: Der eine heißt Veränderung, Transformation, Neugier. Der andere heißt Konsequenz, Wiedererkennungswert, Treue zum Ursprung.

U2 und AC/DC sind beide Titanen der Rockgeschichte. Aber sie stehen für exakt gegensätzliche Konzepte. Während U2 sich über Jahrzehnte neu erfanden, Trends aufnahmen, technische und stilistische Experimente wagten, stehen AC/DC für das pure Gegenteil: Keine Kurswechsel, keine Gastmusiker, keine Überraschungen. Und beide Bands sind damit erfolgreich, weltweit bekannt, ikonisch. Doch was ist das bessere Rock-Konzept? Diese Frage ist nicht nur spannend für Fans, sondern sagt auch etwas über den Zustand und die Entwicklung von Rockmusik im 20. und 21. Jahrhundert aus.

U2 - With Or Without You
U2 - With Or Without You

U2 – Das Chamäleon des Rock

U2 starten als junge Rebellen aus Dublin. Mit Boy (1980), October (1981) und War (1983) liefern sie kämpferischen Post-Punk mit spirituellem Tiefgang. Songs wie „Sunday Bloody Sunday“ und „New Year’s Day“ positionieren sie politisch, aber emotional offen – ein Soundtrack für die desillusionierte Jugend nach dem Punk. Produzent Steve Lillywhite bringt einen klaren, aufgeladenen Gitarrenklang mit Hallräumen und Delay – das Markenzeichen von The Edge, das bis heute unverwechselbar ist.

Mit „The Joshua Tree“ erobern sie 1987 Amerika. Musikalisch rücken sie dafür vom europäischen Postpunk ab – statt Düsternis und Verzweiflung dominieren nun Weite, Spiritualität, Sehnsucht. Tracks wie „With or Without You“ und „Where the Streets Have No Name“ verbinden Arena-Rock mit tiefem Pathos. U2 zeigen hier erstmals: Sie wollen nicht Indie bleiben. Sie wollen Weltformat. Der Spagat gelingt – „The Joshua Tree“ verkauft sich über 25 Millionen Mal, U2 werden zur moralischen Supermacht des Rock.

Nach dem zähen „Rattle and Hum“ ist 1988 der Zenit der “ernsthaften” Band U2 überschritten. Doch anstatt sich totzuspielen, passiert das Undenkbare: Sie erfinden sich komplett neu. „Achtung Baby“ ist 1991 ein monumentaler Bruch: Verzerrte Vocals, schmutzige Gitarren, Berlin-Atmosphäre, elektronische Beats. Songs wie „The Fly“ oder „Until the End of the World“ atmen die Desorientierung der Post-Wall-Ära.  Mit Zooropa (1993) und Pop (1997) gehen U2 noch weiter – Trip-Hop, Clubbeats, Samples, Ironie. Die ZooTV- und PopMart-Touren sind überdrehte, grellbunte Multimediashows mit Live-Satellitenübertragungen, Pop-Art-Ästhetik und Trash-Konsumkritik. U2 machen das, was kaum eine andere 80s-Rockband schafft: Sie wirken in den 90ern nicht alt – sie wirken neu.

Nach dem wilden Neunziger-Ritt versuchen U2 eine Art Versöhnung: Mit „All That You Can’t Leave Behind“ (2000) und „How to Dismantle an Atomic Bomb“ (2004) kehren sie zurück zu hymnischem Rock – bisschen Retro, wie ihre Zeit - aber mit neuem Selbstbewusstsein. Zwar sorgen spätere Aktionen wie das automatische iTunes-Album für Kritik – doch U2 bleiben im Gespräch. Und dann der aktuelle Höhepunkt: Las Vegas. U2 eröffnen als erste Band die futuristische Konzert-Location Sphere. Mit einem 360-Grad-LED-Erlebnis und Spatial-Audio-Inszenierung definieren sie erneut die Rockshow neu. Es ist fast eine künstlerische Klammer zum ZooTV-Konzept – nur digitaler.

Heute schon für den 80s80s Countdown abgestimmt?

AC/DC - Hells Bells (Official 4K Video)
AC/DC - Hells Bells (Official 4K Video)

AC/DC – Das Bollwerk des Stromgitarren-Prinzips

AC/DC stehen für das Gegenteil von U2. Während Bono und Co. auf Konzept, Wandel und Dramaturgie setzen, sagen Angus Young und seine Crew: Don’t fix what ain’t broken. Seit „High Voltage“ (1975) liefern sie maximal drei Akkorde, Powerchords, Blues-Rock-Struktur – aber mit einer Energie und Direktheit, die keine andere Band so lange durchhält. Und dieser Weg zahlt sich aus: „Back in Black“ (1980) ist eines der meistverkauften Alben aller Zeiten. Auch nach dem Tod von Bon Scott gelingt mit Brian Johnson eine beispiellose Neuaufstellung ohne Soundveränderung. AC/DC verweigern sich dem Feature-Wahnsinn.

Selbst Mark Knopfler – ein Freund der Band – durfte nie mitspielen. Crossover? Stadion-Pop-Remix? Elektronische Experimente? Fehlanzeige. Was auf einfallslos wirken könnte, ist in Wahrheit ein extrem klares Markenbild. AC/DC zeigen: Stil ist kein Zufall, sondern Entscheidung.

Das Live-Versprechen: Wenn du kommst, weißt du, was du bekommst. Auch in puncto Live-Auftritte bleiben sich AC/DC treu. Kein High-Tech-Inszenierung, kein Kitsch. Dafür: Glocken, Kanonen, Schuluniform, Marshall-Wände.

Und Angus Young, der mit 69 noch immer über die Bühne rennt wie 1975. Die aktuelle „Power Up-Tour“ zeigt das erneut – alles ausverkauft. Die Leute wissen, was sie bei AC/DC bekommen – und das ist genau der Reiz.

Zwei Konzepte, zwei Philosophien

Was sich bei U2 und AC/DC abzeichnet, ist weit mehr als nur ein musikalischer Unterschied – es sind zwei konträre Philosophien von Rockmusik selbst. Zwei Grundhaltungen, die sich durch ihre Karrieren ziehen wie ein roter Faden.

Bei U2 ist Wandel kein Zufall, sondern bewusste Entscheidung. Die Band hat früh erkannt, dass es in der Popkultur nicht reicht, nur ein oder zwei gute Alben zu veröffentlichen – man muss sich immer wieder neu aufladen. Sich verändern, bevor man aus der Zeit fällt. U2 agieren wie ein Seismograph für gesellschaftliche, politische und musikalische Strömungen: In den 80ern waren sie die moralische Instanz mit Stadionformat. In den 90ern dekonstruierten sie sich selbst, tanzten auf Clubbeats, warfen Ironie über ihren einstigen Pathos und kritisierten den Medienkonsum, während sie ihn gleichzeitig auf die Spitze trieben. Und selbst heute, mit ihrer Eröffnungsshow im ultramodernen Sphere in Las Vegas, sind sie nicht einfach nur dabei – sie prägen den Diskurs darüber, wie Rockmusik im digitalen Zeitalter präsentiert werden kann. Diese Wandelbarkeit hat U2 aber nicht nur Lob eingebracht. Viele Fans fühlten sich in manchen Phasen entfremdet – etwa als die Band zu experimentell wurde oder sich in gigantischen Tech-Gimmicks verlor. Doch genau darin liegt der Reiz des U2-Konzepts: Es fordert das Publikum heraus. Es will, dass man sich mitverändert. U2 bleiben nicht stehen, um allen zu gefallen – sie gehen voraus, um nicht langweilig zu werden. Und das mit einer Konstanz, die ironischerweise darin besteht, sich nicht konstant zu geben.

AC/DC dagegen stehen für das genaue Gegenteil. Ihre Philosophie lässt sich fast schon als Anti-These zu U2 lesen: Alles verändern? Warum? Wenn das, was du tust, genau das ist, was die Leute lieben – warum solltest du es dann anders machen? AC/DC setzen auf Wiedererkennbarkeit. Auf Ritual. Auf den ewigen Stromgitarrensound, der sich vom Debüt bis zur heutigen Tour kaum verändert hat. Und genau das ist ihr Statement: Treue zur eigenen DNA als künstlerisches Prinzip. Für AC/DC ist Rock keine wandelbare Kunstform, sondern ein Element. Wie Feuer, Wasser oder Stahl. Sie sehen sich nicht als kulturelle Kommentatoren oder musikalische Avantgarde – sie sind das Fundament. Sie liefern seit 50 Jahren das, was man von ihnen erwartet: knallharte Riffs, stampfende Rhythmen, ein schelmisch grinsender Angus Young in Schuluniform. Kein Schnickschnack, keine Features, keine Effekte. Und damit senden sie ein starkes Signal: Dass man auch ohne Anpassung Relevanz behalten kann – solange man weiß, wer man ist. Diese Haltung bringt ihnen nicht nur Respekt ein, sondern fast schon mythische Verehrung. Denn während viele Bands sich verrannt, verwässert oder verbogen haben, bleiben AC/DC ein Leuchtturm der Beharrlichkeit. Ihre Fans wissen: Wenn AC/DC auf dem Plakat steht, dann gibt es keine Überraschungen – aber genau das macht das Versprechen so wertvoll. Die Band funktioniert wie ein Fels in der popkulturellen Brandung.

Beide Wege sind radikal. Beide konsequent. Und beide führen zu einer beeindruckenden Form von kultureller Langlebigkeit – wenn auch auf völlig verschiedenen Pfaden.

U2 zeigen, wie Rock überlebt. AC/DC zeigen, dass Rock nicht sterben muss.

Folge 116 | 08.07.2024 | 8:52

U2 - With or Without You

Mit „The Joshua Tree“ liefern U2 1987 ihr fünftes Studioalbum ab. Doch ausgerechnet die erfolgreichste Single des Albums, „With or Without You“, stand kurz davor, nie veröffentlicht zu werden. Wieso die Band sich so schwer mit dem Lied tat und warum ein ungewöhnliches Instrument es rettete, hört ihr in dieser Folge.

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