Das DJ-Phänomen Martin Kemp
Er war mittendrin, als die 80er explodierten und heute lässt Spandau Ballet-Star Martin Kemp diese Ära als gefeierter DJ neu aufleben. Seine „Back to the 80s“-Shows bringen ganz England zum Tanzen.
Er war mittendrin, als die 80er explodierten und heute lässt Spandau Ballet-Star Martin Kemp diese Ära als gefeierter DJ neu aufleben. Seine „Back to the 80s“-Shows bringen ganz England zum Tanzen.
Wenn Fans 2025 eine der „Back to the 80s“-Partys mit Martin Kemp besucht, wirkt es wie eine Zeitmaschine. Neonfarben, Föhnfrisuren, Schulterpolster und mittendrin ein Mann, der damals selbst einer der großen Protagonisten war: der Bassist von Spandau Ballet. Doch um zu verstehen, warum seine DJ-Sets in England derzeit so gefeiert werden – und Fans bis zu 40 Euro zahlen - muss man zurück in die frühen 80er gehen – zu den Blitz Kids in Covent Garden.
Im kleinen Club „Blitz“, unweit des Londoner West End, versammelte sich eine Clique junger Kreativer, die das Nachtleben neu erfinden wollten. Exzentrische Outfits, geschminkte Gesichter, eine Mischung aus Glamour, Kunst und Provokation: Hier entstand das, was später als New Romantic bekannt wurde. Namen wie Boy George, Steve Strange oder eben die Brüder Gary Kemp und Martin Kemp waren untrennbar mit dieser Szene verbunden. Das Blitz war ihr Zuhause und Spandau Ballet ihre Hausband. Mit der Single „To Cut a Long Story Short“ landeten Spandau Ballet 1980 aus diesem Club heraus ihren ersten Hit. Elektronisch, tanzbar, kühl und zugleich mitreißend: ein Manifest dieser neuen Bewegung. Von da an ging es rasant. Spandau Ballet wurden zu Stars der Dekade.
Ursprünglich bezeichnete „Spandau“ in britischem Soldatenjargon die Maschinengewehre, die im Berliner Stadtteil Spandau produziert wurden. Das dortige Kaiserliche Waffenarsenal lieferte das MG 08, das Standard-Maschinengewehr des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg. Britische Soldaten nannten diese Waffen schlicht „Spandaus“. Der zynische Ausdruck „Spandau Ballet“ stand für das grausige Bild von Körpern, die im Kugelhagel „tanzten“.
Doch die eigentliche Namensgebung verlief anders – und spiegelt die Ironie der Londoner New Romantic-Szene. Der Journalist Robert Elms, fester Bestandteil der Blitz Kids, prägte ihn. Robert Elms schrieb in den frühen 80ern für das stilbildende Magazin The Face, war eng mit Künstlern wie Boy George und Sade befreundet, und galt als Sprachrohr der Szene. Auf einem Trip nach Berlin entdeckte er ein Stück Toilettengraffiti, auf dem stand:
„Rudolf Hess, all alone, dancing the Spandau Ballet.“
Rudolf Hess war Hitlers Stellvertreter in der NSDAP und saß nach dem Nürnberger Prozess bis zu seinem Tod im Jahr 1987 im Spandau Prison in Berlin ein. Für Robert Elms war das perfekt: morbide, surreal, einprägsam. Er schlug den Namen den Kemp-Brüdern vor – und so wurde aus einem zufälligen Klospruch einer der ikonischsten Bandnamen der 80er-Jahre.
Mit „True“ (1983) schrieben Spandau Ballet eine der unsterblichen Pop-Balladen. Der Song lief weltweit in Dauerschleife, wurde zum Soundtrack unzähliger Teenagerlieben und katapultierte die Band endgültig ins Pop-Olymp. Auch „Gold“ ist bis heute ein Evergreen, ein Stadionhit, der immer wieder neues Leben eingehaucht bekommt. Doch die Geschichte war von Brüchen geprägt. 1990 löste sich Spandau Ballet auf, es folgten jahrelange Streitigkeiten um Tantiemen. Ein Comeback 2009 brachte sie noch einmal kurz zurück auf die großen Bühnen, doch alte Konflikte brachen erneut auf. Martin Kemp blieb mit seiner Bassgitarre untrennbar mit diesem Erbe verbunden, auch wenn die Band längst kein fester Bestandteil seines Alltags mehr ist.
Nach dem Ende der ersten Spandau Ballet-Ära wechselte Martin Kemp erfolgreich ins Schauspielgeschäft. Er spielte in Filmen, war aber vor allem durch seine Rolle als Steve Owen in der BBC-Soap „East Enders“ bekannt, die ihn in den 90er-Jahren zum Publikumsliebling machte. Parallel blieb er eine Medienfigur, trat in Reality-TV-Formaten auf und hielt damit seinen Namen präsent. Die Rückkehr zur Musik kam später – und auf überraschende Weise. Mitte der 2010er Jahre begann Martin Kemp, als DJ aufzutreten. Anfangs schien es fast wie eine nostalgische Randnotiz: Ein Popstar legt die Hits seiner Jugend auf. Doch schnell wurde daraus ein ernstzunehmendes Projekt, das heute zu den erfolgreichsten Nostalgie-Events in Großbritannien gehört.
Wer eine Martin Kemp-Show besucht, erlebt kein klassisches DJ-Set. Es ist ein choreografiertes Eintauchen in ein Jahrzehnt, das noch immer Millionen Menschen elektrisiert. Martin Kemp mischt die größten 80er-Hits – Madonna, George Michael, a-Ha, Duran Duran – und natürlich auch Spandau Ballet. Das Publikum feiert im Fancy-Dress-Look: Neonfarben, Schulterpolster, Stirnbänder. Die Shows haben den Charakter eines riesigen Klassentreffens. Die Leute singen jede Zeile mit, die Stimmung wird von Fans als „euphorisch“ beschrieben, manche sagen, sie fühlten sich wieder wie 18. Es ist kein bloßes Auflegen, sondern ein kollektives Erleben von Erinnerungen. Und der Clou: Der DJ selbst ist Teil dieser Geschichte. Wenn Martin Kemp am Pult steht, dann nicht als Außenstehender, sondern als Zeitzeuge, der damals mittendrin war. Seine Sets sind Nostalgie und Authentizität zugleich – und das macht sie so unwiderstehlich.
Die Resonanz ist enorm. Von Glasgow über Birmingham bis Sheffield sind die Venues voll, oft schon Wochen im Voraus ausverkauft. Laut seiner offiziellen Website stehen allein für das Jahr 2025 rund 130 Auftritte im Kalender – eine unfassbare Zahl, die deutlich macht, wie riesig die Nachfrage nach seinen 80er-Partys ist. Kaum ein anderes Nostalgie-Format ist derart präsent auf den britischen Bühnen. Auch Martin Kemps mediale Dauerpräsenz spielt eine Rolle. Er tritt mit seinem Sohn Roman in TV-Shows auf, ist in Reality-Formaten präsent und bleibt so in den Köpfen – nicht nur der Generation, die in den 80ern jung war, sondern auch bei deren Kindern.
Von den wilden Nächten im Blitz-Club über die glanzvollen Jahre mit Spandau Ballet bis hin zu den heutigen Nostalgie-Exzessen. Sein Erfolgsrezept: Nostalgie plus Authentizität. Er war Teil der Szene, über die er heute musikalisch erzählt, und genau das macht seine Shows so besonders. Aus einem Graffit in einer Berliner Toilette und dem Soundtrack einer ganzen Generation wurde ein kulturelles Phänomen, das 40 Jahre später noch immer Hallen füllt. Martin Kemp tanzt weiter – und 2025 gleich auf über 130 Bühnen. Allerdings: bisher ist es nicht geplant, die „Back to the 80s“-Shows von Martin Kemp nach Deutschland zu bringen…