Palais Schaumburg: Einer schweigt, einer veröffentlicht
Holger Hiller ist abgetaucht, Timo Blunck meldet sich mit neuem Album und Krimi zurück. So unterschiedlich sind die Spuren, die die einstigen NDW-Pioniere heute hinterlassen.
Holger Hiller ist abgetaucht, Timo Blunck meldet sich mit neuem Album und Krimi zurück. So unterschiedlich sind die Spuren, die die einstigen NDW-Pioniere heute hinterlassen.
Seit Jahren ist Holger Hiller weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Der Palais Schaumburg-Gründer, der mit seiner dadaistischen Dekonstruktion von Pop und seinen innovativen Sampling-Techniken die Musikgeschichte mitprägte, zog sich nach seinem letzten Soloalbum weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Und doch gab es zwischenzeitlich ein wichtiges Lebenszeichen – nicht als Solokünstler, sondern als Teil der Band, die er einst gegründet hatte: Palais Schaumburg.
Denn entgegen der Annahme, dass Holger Hiller sich bereits 2013 von der Bühne verabschiedet hat, war er noch bis 2019 live zu erleben. Seit 2011 traten Palais Schaumburg in der Originalbesetzung – also mit Holger Hiller, Thomas Fehlmann, Timo Blunck und Ralf Hertwig – wieder sporadisch auf. Zuletzt 2019 in Holger Hillers Heimatstadt Hamburg.
Dass Holger Hiller je so populär wurde, war an sich schon eine Überraschung. Palais Schaumburg, die Band, die er Anfang der 80er mitbegründete, war keine gewöhnliche NDW-Gruppe. Ihr eckiger Sound mit Funk- und Dada-Einflüssen war avantgardistisch und radikal. Und dennoch: Ein Major-Label veröffentlichte ihre Platten, die Band schaffte es sogar bis nach Großbritannien. Palais Schaumburg hatten einen Plattenvertrag bei Phonogram, einem der größten Labels der damaligen Zeit – ein kaum vorstellbarer Vorgang in der heutigen Musikindustrie. Aber die Neue Deutsche Welle war Anfang der 80er ein großes Ding.
Holger Hiller verließ die Band Palais Schaumburg im Jahr 1982. Nach der Veröffentlichung des Debütalbums "Palais Schaumburg" im Jahr 1981 und einer erfolgreichen Konzertreise durch Deutschland, Holland und England, kam es zu Unstimmigkeiten innerhalb der Band. Dies führte dazu, dass Holger Hiller, der als Kopf und "Genie" der Gruppe galt, sich nach nur zwei Jahren zurückzog, um sich Soloprojekten zu widmen. Sein erstes Soloalbum "Ein Bündel Fäulnis in der Grube", das ursprünglich 1983 erschien, gilt heute als Klassiker. Das Hamburger Label Bureau B hat es 2023 zum 40-jährigen Jubiläum wiederveröffentlicht – eine Gelegenheit, sein visionäres Werk neu zu entdecken.
Mit der Band Träneninvasion, die er mit Michael Kemner gründete, veröffentlichte er 1980 die Single "Sentimental". Der Song klingt wie ein Vorbote dessen, was Holger Hiller später mit Palais Schaumburg ausbauen sollte: spröde, minimalistisch, mit schrägen Synthesizer- und Saxophon-Sounds, dazu ein fast roboterhaft vorgetragener Gesang. "Sentimental" ist ein vergessenes Juwel aus der Zeit, als sich Punk in NDW verwandelte – und zeigt, wie früh Holger Hiller begann, sich mit den Möglichkeiten des radikalen Pop auseinanderzusetzen.
Doch was ist seit 2019 passiert? Während die Kollegen wie Thomas Fehlmann weiterhin aktiv sind, ist von ihm erneut nichts mehr zu hören. Und gerade heute, wo elektronische Musik oft vorhersehbar erscheint, fehlt jemand wie er. Die Solo-Auftritte in den legendären Clubs Berghain und Goldener Pudel im Jahr 2013 und die letzten Palais Schaumburg-Reunions bis 2019 waren eine Erinnerung daran, was für ein radikaler Künstler Holger Hiller war – und immer noch sein könnte.
Sein Denken war immer unkonventionell. In einem taz-Interview wurde er gefragt, welches die besten Punksongs aller Zeiten seien. Seine Antwort: "Es geht doch immer um die Bewegung und nicht die Einzelbausteine." Auf die Frage nach neuen Bands sagte er: "Ich merke mir nie die Namen." Irgendwie konnte man da einen Ausstieg aus der Musikszene schon zwischen den Zeilen lesen. Holger, falls Du das liest: Komm zurück! Deine Musik wird gebraucht.
Während Holger Hiller sich rar macht, ist sein ehemaliger Bandkollege Timo Blunck weiterhin äußerst produktiv. Im Juni 2025 veröffentlichte Blunck sein drittes Soloalbum "Der Schlaf Fotograf", das er parallel zu seinem neuen Kriminalroman "Ein kleines Lied über das Sterben" herausbringt. Auf dem Album verbindet der Palais Schaumburg-Bassist musikalische Kurzgeschichten mit Einflüssen aus 70er-R&B, Fusion und Jazz-Pop. Unterstützt von Musikern wie den Box Horns und der verstorbenen Regy Clasen, zeigt Timo Blunck erneut seine Vielseitigkeit als Musiker, Produzent und Autor. Bereits seit den 1980ern bewegt er sich souverän zwischen Pop, Literatur und experimenteller Musik — eine kreative Rastlosigkeit, die man sich auch von Holger Hiller wieder wünschen würde.