Talk Talk: Rückkehr von „Spirit of Eden“
Die neue Half-Speed-Reissue rückt das visionäre Werk von Talk Talk 2026 zurück ins Rampenlicht. Besonders die Beteiligung von Charlie Hollis zeigt, wie lebendig das Erbe seines Vaters geblieben ist.
Die neue Half-Speed-Reissue rückt das visionäre Werk von Talk Talk 2026 zurück ins Rampenlicht. Besonders die Beteiligung von Charlie Hollis zeigt, wie lebendig das Erbe seines Vaters geblieben ist.
Ein eigenes Radio für den coolen Sound der 80er – Abseits vom Mainstream. Mit Madness, The Cure, Talking Heads, The Jeremy Days und vielen mehr.
Als Talk Talk vor 30 Jahren das Album "Spirit Of Eden" herausbrachten, erfanden sie sich so radikal neu, dass es einer Revolution gleichkam. Unter der Leitung von Mark Hollis und Tim Friese-Greene begannen sie eine Neuerfindungen, wie sie es in der alternativen Musik noch nicht gegeben hatte.
Für Talk Talk war diese Platte eine krasse Veränderung. Nach den kommerziellen Erfolgen von "It's My Life" und "Such A Shame" hatte die Plattenfirma die Kontrolle über die Band faktisch verloren. Sie mussten praktisch nehmen, was sie von Mark Hollis und seinen Bandkollegen angeboten bekamen. In der Popgeschichte gibt es alle möglichen krassen Transformationen von Musikern. Bands, die relativ klar begannen und dann in die Stratosphäre abflogen und dabei einen neuen Klang entdeckten. Neben den Beatles und Radiohead werden als Beispiel dafür meist auch Talk Talk genannt.
Die frühen Talk Talk-Alben, "The Party's Over" und „It’s My Life“ waren New Wave. Also typisch für die frühen 80er. Schon "The Color Of Spring" war dann ein Ausflug in eine andere Musik. Aber das Album umfasste aber auch klassische Pop-Songs und konnte als Pop-Album mit Anspruch gut vermarktet werden.
Schaut man sich das Jahr 1986 an, dann zeigt sich, dass viele der Talk Talk-Zeitgenossen wie Tears For Fears, Simple Minds und U2 auch ihre Post-Punk oder New Wave Wurzeln verlassen hatten. Nur gingen Talk Talk in eine ganz andere Richtung, während zum Beispiel die Simple Minds ins Triviale abdrifteten und viel Geld verdienten, war Mark Hollis nicht mehr bereit die Massen zu bedienen, in einem der wenigen Interviews nach 1986 mit dem The Guardian zeigt er sich geradezu angeekelt von der Musikindustrie: „Wir reagieren auch auf die Musik, die derzeit produziert wird, denn das meiste ist Scheiße. ‘Spirit Of Eden‘ erscheint nur im modernen Kontext radikal, grade weil die Musik heute so weichgewaschen ist. Es ist nicht radikal im Vergleich zu dem, was vor 20 Jahren geschah. Wenn wir dieses Album vor 20 Jahren an die Plattenfirma geschickt hätten, die hätten nicht mit der Wimper gezuckt.“
Für jeden TalkTalk-Fan, der 1988 "Spirit Of Eden" kaufte, war sein kolossaler Opener "The Rainbow" eine sofortige Ankündigung, dass dies nicht der alte Talk Talk-Sound war. Beginnend mit gedämpfter Trompete und Streichern wird der Song ein- und ausgeblendet, bis nach zweieinhalb Minuten eine träge Gitarre auftaucht. Mark Hollis singt erst nach dreieinhalb Minuten. Pop war für Talk Talk von jetzt an Geschichte.
Im Februar 2026 wird es eine neue Ausgabe vom Talk Talk-Album „Spirit of Eden“ geben. Diese Neuauflage von ist nicht irgendeine Reissue. Sie ist eine musikalische Rückbesinnung auf ein Album, das in den 80ern seiner Zeit weit voraus war und erst Jahrzehnte später seine volle Strahlkraft entfalten konnte. Dass die neue Half-Speed-Reissue ist nicht nur ein technisches Update, sondern ein kulturelles Ereignis ist, liegt an mehreren Faktoren. Zum einen ist es die unvergleichliche Bedeutung von Talk Talk, die in diesem Werk kulminiert. Zum anderen ist es die Beteiligung von Charlie Hollis, dem Sohn von Mark Hollis, der das Projekt eng begleitet hat und dem Album damit eine emotionale, fast familiäre Dimension verleiht.
Um die Tragweite dieser Veröffentlichung zu verstehen, muss man wissen, was eine Half-Speed-Reissue technisch bewirkt. Normalerweise werden Vinyls bei einer bestimmten Umdrehungsgeschwindigkeit geschnitten, bei der das Ausgangsmaterial in normaler Geschwindigkeit läuft. Bei einer Half-Speed-Reissue wird dieser Prozess buchstäblich halbiert: Die Masterbänder laufen mit halber Geschwindigkeit, und auch der Schneidkopf schneidet langsamer. Das führt zu wesentlich mehr Präzision, mehr Raum für Details und deutlich weniger Verzerrungen. Besonders komplexe Produktionen – und „Spirit of Eden“ ist eine der komplexesten der 80er – profitieren immens davon.
Für ein Album, das von fragilen Dynamiken, leisesten Zwischentönen, organischen Improvisationen und hochsensiblen Mikrodetails lebt, ist dieses Verfahren ideal. Es holt die kleinen Nuancen hervor, die Mark Hollis und Produzent Tim Friese-Greene damals bewusst eingespielt haben, die aber in vielen Pressungen schlicht untergingen. In diesem neuen Master hört man das Atmen der Instrumente, die winzigen Schwingungen der Trompete, die knisternde elektronsiche Stille zwischen zwei Noten.
Dass ausgerechnet Charlie Hollis dabei eine entscheidende Rolle spielt, ist ein emotionaler Kernpunkt dieser Veröffentlichung. Er ist mit dem Werk seines Vaters aufgewachsen – nicht nur als Sohn, sondern als Hüter eines musikalischen Vermächtnisses, das weltweit Fans berührt. Charlie Hollis war nicht nur an den Remaster-Sessions beteiligt, sondern auch an der finalen klanglichen Ausrichtung, was der Veröffentlichung eine enorme Authentizität verleiht. Seine Beteiligung wirkt wie eine Brücke zwischen den späten 80ern und der Gegenwart, zwischen dem stillen Perfektionismus seines Vaters und einer neuen Generation, die „Spirit of Eden“ vielleicht zum ersten Mal bewusst hört. Durch Charlie Hollis erhält das Album nicht nur technisches, sondern auch emotionales Gewicht. Er sorgt dafür, dass die Vision von Mark Hollis nicht verwässert, sondern im Gegenteil geschärft wird.
Die Half-Speed-Reissue offenbart, wie unfassbar detailreich Talk Talk damals gearbeitet haben. Besonders das Zusammenspiel von Paul Webb am Bass und Lee Harris am Schlagzeug gewinnt an Präsenz. Die rhythmischen Strukturen wirken wie eine pulsierende Landschaft, durch die sich die ruhige, fast spirituelle Stimme von Mark Hollis bewegt. Die Räume zwischen den Tönen – die für „Spirit of Eden“ so typisch sind – öffnen sich durch die neue Schnitttechnik hörbar. Diese Zwischenräume sind nicht leer, sie sind voller Energie, voller Stille, voller musikalischer Bedeutung.
Man spürt wieder, wie sich Tim Friese-Greene als kreativer Motor im Hintergrund einbringt. Seine Tastenflächen, hier mehr Atem als Klang, werden in der Half-Speed-Version zu etwas fast Dreidimensionalem. Das Ergebnis ist ein Album, das wie neu geboren wirkt, obwohl es eigentlich nur seine ursprüngliche Form endlich vollständig entfalten darf.
Als sich Mark Hollis, Tim Friese-Greene, Paul Webb und Lee Harris in den späten 80ern in die Wessex Studios zurückzogen, begann ein Prozess, der mit normalen Albumaufnahmen nichts mehr zu tun hatte. Wochenlang arbeiteten sie im Dunkeln, improvisierten, löschten Stunden an Material, bauten es neu auf, spielten wie in Trance. Für Mark Hollis war das Album ein Glaubensbekenntnis: Musik sollte nicht gefällig sein, sondern wahrhaftig. „Spirit of Eden“ war das Resultat. Der Mut, sich komplett vom Mainstream zu lösen, wurde damals kaum verstanden, aber heute umso mehr gewürdigt. Dass dieses Werk nun in einer technisch perfekten Fassung wieder erscheint, wirkt wie eine überfällige Würdigung dieser kreativen Rebellion.
Die neue Reissue zeigt: Diese Haltung ist heute aktueller denn je. Und durch die Beteiligung von Charlie Hollis bekommt die Veröffentlichung eine zusätzliche Ebene: Sie macht das Vermächtnis von Mark Hollis nicht nur hörbar, sondern spürbar.