Sind ’Til Tuesday zurück?
Nach 33 Jahren Pause stand die Boston-Band plötzlich wieder auf einer Bühne.
Ob daraus mehr wird, ist völlig offen – und genau das macht ihren Auftritt so spannend.
Nach 33 Jahren Pause stand die Boston-Band plötzlich wieder auf einer Bühne.
Ob daraus mehr wird, ist völlig offen – und genau das macht ihren Auftritt so spannend.
Dann standen sie plötzlich wieder auf einer Bühne – ’Til Tuesday. Beim Cruel World Festival in Kalifornien hat sich die Band um Sängerin Aimee Mann zum ersten Mal seit Anfang der 90er wieder gemeinsam gezeigt. Sie kamen, spielten, und verschwanden wieder in der kalifornischen Nacht. Hier tauchte eine Band wieder auf, die sich damals so leise verabschiedet hat, dass kaum jemand mit einem Comeback gerechnet hätte.
’Til Tuesday kamen aus Boston, gründeten sich 1982 und galten in der Szene ziemlich schnell als heißer Tipp. Ihr Song „Voices Carry“ wurde 1985 ein Riesenhit in den USA, das Video lief auf MTV in Endlosschleife und machte Aimee Mann mit ihrer blondierten, fast punkigen Tolle zur Pop-Ikone auf Zeit.
Das ’Til Tuesday Debüt war ziemlich catchy, danach wurde es ernster, erwachsener, was in den 80ern meistens hieß: weniger Synths, mehr Herzschmerz. Zwei weitere Alben folgten, „Welcome Home“ und „Everything’s Different Now“, beide geliebt von Kritikern, übersehen vom Massenpublikum.
Dann lösten sich ’Til Tuesday Ende der 80er auf – ohne Skandal, ohne Knall, einfach weg. Aimee Mann startete ihre Solokarriere und wurde später zu einer der angesehensten Songschreiberinnen der USA, während ihre Ex-Band mehr und mehr zu einem Geheimtipp wurde.
Schon damals war aber zu spüren, wie sehr bei ’Til Tuesday alles auf Aimee Mann zulief. Das Video zur Single „Looking Over My Shoulder“ beginnt mit einem kleinen Eklat: Die Band sitzt zusammen und diskutiert mit Aimee Mann über das vorige Musikvideo – ob sie nicht zu sehr im Mittelpunkt stand, ob es überhaupt noch nach einer Band aussehe. Dann stolpert sie ins Set, ein Ballsaal, weiße Robe, Treppenabgang, Jubel – während ihre Bandkollegen plötzlich nur noch als Visionen in der Kulisse auftauchen. Das ist natürlich MTV-Theater, aber eben auch eine herrlich unsubtile Meta-Ebene: Hier wird durchgespielt, was später Realität werden sollte – dass Aimee Mann aus dem Schatten der Band treten würde und die Band danach im Schatten von Aimee Mann stand.
Dass der Bandname heute überhaupt wieder in den Schlagzeilen auftaucht, liegt vor allem daran, dass Aimee Mann ihn nochmal aus der Mottenkiste geholt hat. Denn sie ist längst viel mehr als „die Sängerin von ’Til Tuesday“.
Seit den 90ern hat sie sich als Solokünstlerin einen Ruf erarbeitet, den kaum jemand aus der New Wave-Ära geschafft hat: mehrfach Grammy-nominiert, gefeiert für ihr Songwriting, verehrt von Kollegen. Spätestens seit ihrem Soundtrack für den Film „Magnolia“ (1999) gilt sie als Meisterin des subtilen, pointierten Storytelling in Popsongs.
Und sie ist bis heute aktiv: Im Sommer 2025 war sie mit ihrem Album „Lost in Space“ (2002) auf Jubiläumstour – und arbeitet parallel an einem Musical basierend auf ihrem Konzeptalbum „The Forgotten Arm“ (2005). Kurz gesagt: Aimee Mann ist längst selbst eine Institution, und ’Til Tuesday ist für viele eher ein spannendes Fußnotenkapitel in ihrer Karrieregeschichte.
Genau das macht diese Reunion so interessant: Aimee Mann hätte sie gar nicht nötig. Weder finanziell noch karrieretechnisch. Mann ist niemand, die auf ein paar Festivalbuchungen angewiesen wäre. Sie hat genug eigene Projekte, genug Anerkennung. Dass sie trotzdem zugesagt hat, wirkt deshalb fast wie ein persönliches Experiment.
In Interviews erzählt sie, dass sie erst mal wieder Gesangsunterricht genommen hat, weil sie wissen wollte, ob sie die Songs heute überhaupt noch glaubwürdig singen kann. Dass sie nicht einfach ihre Achtzigerjahre-Uniform überstreifen wollte, sondern sicher sein musste, dass das Gefühl noch stimmt. Erst dann fragte sie die alten Kollegen. ’Til Tuesday sagten sofort zu.
Keiner hatte auf ’Til Tuesday gewartet, sie selbst wahrscheinlich am wenigsten. Und vielleicht funktioniert es gerade deshalb. ’Til Tuesday hatten nie diesen Alles-oder-nichts-Ehrgeiz, eher den leisen Ehrgeiz, Dinge richtig zu machen. Dass ihre Songs heute wieder gespielt werden, fühlt sich nicht wie ein Retro-Stunt an, sondern wie ein kleiner Realitätsabgleich: Funktioniert das noch? Macht das noch Sinn? Und offenbar: ja. Die Reaktionen beim Festival waren begeistert, viele im Publikum kannten die Band nur vom Hörensagen – und gingen trotzdem mit. Vielleicht, weil ’Til Tuesday nie auf Coolness setzten, sondern auf gutes Songwriting. Und gutes Songwriting altert bekanntlich besser als jede Schulterpolster-Mode.
Die große Frage ist jetzt: War das ein einmaliger Ausflug oder der Anfang von mehr? Offiziell gibt es keine Pläne für neue Musik oder eine Tour, aber Mann klang nach dem Festival nicht so, als wäre sie kategorisch dagegen. Es hänge davon ab, ob es „gut genug“ sei – was einerseits ziemlich vage klingt, andererseits sehr nach Aimee Mann: keine großen Versprechen, lieber erst mal gucken, ob’s Spaß macht. Wenn Aimee Mann sich zu etwas entschließt, dann weil sie es wirklich will.
Ob sie weitermachen, ist noch komplett offen. Vielleicht war das hier nur ein Abend für die Nostalgie-Schublade, vielleicht auch der Anfang von Kapitel zwei. Klar ist: Sie haben gezeigt, dass es sie noch gibt – und dass ihre Songs heute genauso gut funktionieren wie damals, nur eben ohne Haarspraynebel. Und allein das macht diese Rückkehr bemerkenswert. Kein großes Pathos, keine Wiedergeburts-Story, kein Presse-Wirbel, einfach vier Leute, die sich wieder zusammen auf eine Bühne stellen als ’Til Tuesday.