Ratt-Sänger Stephen Pearcy - Soloplatte verschoben?
In den 80ern war Stephen Pearcy das Gesicht einer ganzen Rock-Generation. Heute kämpft sich der Ratt-Frontmann auf kleinen Bühnen ab – und verschiebt Pläne.
In den 80ern war Stephen Pearcy das Gesicht einer ganzen Rock-Generation. Heute kämpft sich der Ratt-Frontmann auf kleinen Bühnen ab – und verschiebt Pläne.
Als Stephen Pearcy 1984 mit seiner Band Ratt die Single „Round and Round“ veröffentlichte, war MTV der Tempel der weißen Gitarrenmusik. Die Anfangsjahre des Senders waren geprägt von der stillschweigenden Formel „White Rock Only“ – ein Programm, das Gitarren und Leder bevorzugte und Black Artists praktisch ausschloss. MTV war damals die Bühne, auf der ein neues, visuelles Rockstar-Ideal geboren wurde, und Stephen Pearcy passte perfekt hinein: junger Glam-Sänger mit Lederhose, exzessivem Blick und Songs, die die jugendliche Rebellion vertonten. „Round and Round“ wurde zur Hymne dieser Ära – mit einem Musikvideo, das durch die Decke ging. Im Clip tauchte sogar TV-Legende Milton Berle auf, der Onkel des Band-Managers. Der schrille Gastauftritt machte die Band zu MTV-Lieblingen, und Stephen Pearcy stand plötzlich in einer Reihe mit David Lee Roth und Vince Neil. MTV hatte einen neuen Star – und Ratt gehörten zu den Hauptprofiteuren dieser politisch unausgewogenen Senderpolitik.
Das Paradies der weißen Rockbands war nur von kurzer Dauer. 1983 brachte Michael Jackson mit „Billie Jean“ das Musikfernsehen zum Beben – gegen den erklärten Widerstand des Senders. Es war eine historische Zäsur. Kurz darauf stellte sich David Bowie öffentlich die Frage, warum auf MTV keine schwarzen Künstler liefen. David Bowie hielt dem Sender den Spiegel vor, und seine Worte markierten den Beginn einer kulturellen Zeitenwende.
Für Stephen Pearcy und Ratt bedeutete das, dass ihre Art von Rockmusik, die in den frühen 80ern dominierte, bald Konkurrenz bekam. MTV wurde diverser, poppiger und moderner. Doch 1984 – mit „Out of the Cellar“ – erreichte die Band ihren Zenit. Das Album verkaufte sich millionenfach, und Stephen Pearcy wurde zum Symbol des letzten großen Glam-Booms, bevor Grunge und Alternative die Szene verdrängten.
Vierzig Jahre später sieht die Bühne ganz anders aus. 2025 stand Stephen Pearcy wieder auf einer Bühne – diesmal im Ferg’s Sports Bar & Grill in St. Petersburg, Florida. Eine Location, die alles andere als eine Arena ist. Ferg’s ist eine Sportsbar mit Live-Bühne, Kapazität ein paar Hundert Leute, Bierbänke und Grillduft statt Flammenwerfer und Pyro. Ratt spielte hier in den letzten Wochen einige Konzerte.
Dass Stephen Pearcy dort spielt, erzählt mehr über die Gegenwart des Rock’n’Roll als jede Chartposition. Es ist kein Karriereknick im klassischen Sinne, sondern ein Realitätsabgleich. Wo einst Stadiontourneen dominierten, gibt es heute intime Club-Shows – positiv ausgedrückt.
Dass Stephen Pearcy allerdings überhaupt noch auf der Bühne steht, grenzt an ein kleines Wunder. In den letzten Jahren musste der Musiker mehrfach operiert werden. Nach einer Kniegelenk-Operation folgte eine Phase der Rekonvaleszenz, in der er kaum auftreten konnte. 2021 wurde bei ihm Leberkrebs diagnostiziert – eine Nachricht, die in der Rockwelt für Betroffenheit sorgte. Er überstand die Behandlung, ließ den Tumor entfernen und gilt seither als krebsfrei. In Interviews sprach Stephen Pearcy offen darüber, wie sehr ihn diese Erfahrung verändert habe. Er sei dankbarer, ruhiger, aber auch entschlossener.
Musikalisch bewegte sich Stephen Pearcy in den letzten Jahren zwischen Nostalgie und Neuversuch. 2024 erschien im Rahmen des 40-jährigen Jubiläums von „Out of the Cellar“ eine erweiterte Edition mit einem bislang unveröffentlichten Song aus den 80ern: „Reach for the Sky“. Der Titel klang wie eine neue Single, war aber in Wahrheit ein altes Demo – ein Relikt aus der Ära, in der Ratt noch auf MTV in Amerika rotierten. Diese Veröffentlichung war symptomatisch: ein Versuch, die Vergangenheit wieder hörbar zu machen, statt eine neue Zukunft zu schreiben. Trotzdem ließ sie Fans hoffen, dass Stephen Pearcy und Gitarrist Warren DeMartini vielleicht wieder gemeinsam an frischem Material arbeiten könnten. Immerhin tauchten beide in Interviews zusammen auf und sprachen von „neuen Ideen“.
Im Januar 2025 hatte Stephen Pearcy noch vollmundig ein neues Soloalbum angekündigt – sein sechstes Studioalbum, das im Laufe des Jahres erscheinen sollte. Die Nachricht machte die Runde in Rock-Foren und Fachmagazinen, und Stephen Pearcy klang in Interviews geradezu euphorisch. Doch nun, am Ende des Jahres, gibt es weder ein Releasedatum noch ein offizielles Statement.
Das Album, so scheint es, wurde verschoben oder liegt auf Eis. Vielleicht aus gesundheitlichen Gründen, vielleicht, weil kein Label einen klaren Termin festlegen wollte. Vielleicht aber auch, weil Stephen Pearcy selbst noch nicht entschieden hat, was dieses Album überhaupt sein soll – Fortsetzung, Rückblick oder Vermächtnis.
Heute wirkt Stephen Pearcy wie ein Mann, der verstanden hat, dass „Round and Round“ sein größter Hit bleiben wird, und er hat sich damit versöhnt. In Interviews klingt er reflektiert, manchmal sarkastisch, aber nie verbittert. Wenn er über Streaming, Nostalgie und das Musikbusiness spricht, dann mit der Gelassenheit eines Überlebenden. Vierzig Jahre nach „Out of the Cellar“ steht Stephen Pearcy wieder auf der Bühne, aber die Bühne ist jetzt viel kleiner. Er kündigt Platten an, die vielleicht nie erscheinen, spielt Songs, die nie altern, und lebt die Widersprüche des Rock’n’Rolls.